Interview mit Dr. Mathias Mertens



Opens external link in new windowDr. Phil. Mathias Mertens ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medien und Theater der Opens external link in new windowUniversität Hildesheim. Zusammen mit Tobias O. Meißner schrieb er Opens external link in new windowWir waren Space Invaders, ein Buch über das Computerspielen. Spätestens seit dem Opens external link in new windowARD-Expertenchat zu Ego-Shootern und Ballerspielen ist der Medienwissenschaftler vielen Computerspielern ein Begriff.

Killer-Spiele.Info: Herr Dr. Mertens, bereits im Mai 2002 forderten Sie eine "Kultivierung von Computerspielen". Lassen sich 5 Jahre später Zeichen jener Kultivierung erkennen, oder ist sie vielleicht schon in vollem Gange?

Mathias Mertens: Man kann überhaupt nicht sagen, dass sie in vollem Gange sei. Es gibt zwar wackere Zeitschriften wie die Opens external link in new windowGEE und auch höchst lesenswerte Journalisten wie Thomas Willmann und Andreas Rosenfelder, die alle in diese Richtung arbeiten, aber immer noch beschäftigen wir uns mit "den Computerspielen" und nicht mit "Computerspielen", also einzelnen Werken und was sie zu unserer Kultur beitragen. Und das übrigens auch mal wieder in diesem Interview und auf ihren Seiten.

Killer-Spiele.Info: Bei Amokläufen wie zuletzt in Virginia oder zuvor in Emsdetten und Erfurt wurde sofort ein Zusammenhang mit Computerspielen vermutet - zum Teil vorschnell und nicht belegt. Warum übernehmen Medien und Politiker bei Amokläufen so häufig die "Killerspiele-These"?

Mathias Mertens: Aus dem gleichen Grund, warum die Kritiker dieser Medien und Politiker wortreich auf diese Kritik reagieren und warum in Interviews zu Computerspielen immer nach diesen Medien und Politikern gefragt werden: es ist ein Muster, das man kennt, das man versteht und bei dem man weiß, wie man selbst gesprochenen und geschriebenen Text produzieren kann, der mit diesem Muster etwas zu tun hat. Es geht um Anschlussfähigkeit, um Fortsetzung von vertrauter Kommunikation, alles vor dem Hintergrund, dass man so das Gefühl hat, möglichst viele anzusprechen und nicht ins Leere hinein zu reden.

Killer-Spiele.Info: Es gibt Menschen, die jegliche Darstellung von Gewalt in Unterhaltungsmedien prinzipiell verurteilen. Ist ein generelles Verbot von Gewaltdarstellung allein auf Basis moralischer Vorstellungen (wie z.B. Abneigung solchen Darstellungen gegenüber) gerechtfertigt?

Mathias Mertens: Nein. Die Moral von heute ist die kulturgeschichtliche Phase von morgen. Insofern muss sich die Gesellschaft sehr genau überlegen, was das grundlegende Moralsystem sein soll und welche Vorstellungen zu einer Diktatur einzelner Geschmacksvorstellungen führen würden.

Killer-Spiele.Info: Im Opens external link in new windowARD-Expertenchat wurde die Frage aufgeworfen, ob eine Generation, die Krieg nicht selbst erlebt hat, sich einen Ersatz für das Ausleben von Gewalt in Form von Computerspielen sucht. Wie erklären Sie sich, dass Jugendliche und Erwachsene einen Teil ihrer Freizeit damit verbringen, virtuell Krieg zu spielen?

Mathias Mertens: Weil es ein sehr einfaches, sehr überzeugendes dramatisches Prinzip ist, das zudem mit sehr eindringlichen, beeindruckenden Mitteln dargestellt werden kann. Es ist die maximale Show. Außerdem hat man das Gefühl, wenn man sich die Erzählungen der Großeltern und Eltern anhört, wenn man die skeptischen Artikel liest, dass jetzt die ersten Politiker in Deutschland und Frankreich antreten, die nicht mehr vom Krieg betroffen waren, wenn man den Geschichtsunterricht in Schulen und Hochschulen ansieht, wenn man die Nachrichten einschaltet, man hat dann das Gefühl, dass der Krieg wirklich das Wichtigste in der Kultur sei. Warum sich also nicht auch damit auseinandersetzen?

Killer-Spiele.Info: Beliebtes Argument unter anderem für Gesetzesverschärfungen: Spiele seien bei gleichem Inhalt gefährlicher als Filme oder Bücher, weil der eigene Einfluss auf die Handlung eine Distanzierung erschwert. Wie stehen Sie zu dieser Theorie?

Mathias Mertens: Das ist nur Symptom eines Medienwandels, der eine neue Generation bevorzugt und eine ältere aus Kommunikationszusammenhängen ausschließt. Das jeweils Neue am Medium ist Begründung dafür, warum man sich ausgeschlossen fühlt und einen Kontrollverlust über die Kommunikation der anderen erleidet. Der Film war vor hundert Jahren schlimm, weil er mit seinem Bewegungsbild eine ganzheitliche Ansicht von Geschehen gab und somit die freie Wahl zwischen den Details ließ, ohne dass andere dabei pädagogisch einwirken konnten. 50 Jahre später waren alle mit Film aufgewachsen und hatten damit keine Probleme, aber das Fernsehen zerstörte die gemeinschaftliche Rezeption und ließ die Menschen somit alleine mit der Ansicht von Geschehen, ohne dass andere dabei pädagogisch einwirken konnten. 30 Jahre später waren alle mit Fernsehen aufgewachsen und hatten damit keine Probleme, aber der Videorekorder zerstörte das vorgegebene Programmschema und ließ den Menschen somit freie Wahl der Inhalte, ohne dass andere dabei pädagogisch einwirken konnten. 20 Jahre später sind alle mit Video aufgewachsen und haben damit keine Probleme, aber das Computerspiel zerstört die festgelegte Abfolge von Inhalten und lässt den Menschen somit die freie Wahl, wie sie etwas rezipieren können, ohne dass andere dabei pädagogisch einwirken können. In 20 Jahren werden alle mit Computerspielen aufgewachsen sein und werden damit keine Probleme haben, aber das XXX zerstört...

Killer-Spiele.Info: Die Statements der Politiker Schünemann und Beckstein lassen die Spiele-Communitys generelle Verbote befürchten. Betrachtet man den Gesetzesentwurf zum §131a "Virtuelle Killerspiele" und vergleicht diesen mit bestehender Rechtsprechung zu Videos und Filmen, fällt auf, dass Spiele wie Counterstrike von dem Entwurf höchstwahrscheinlich gar nicht betroffen wären. Kann es sein, dass die Spieler und Politiker hier ganz verschiedene Spiele als betroffen ansehen, und somit aneinander vorbei argumentieren - vor Allem nach Medienberichten, die alle möglichen Spiele zu "Killerspielen" erklären?

Mathias Mertens: Stimmt wohl.

Killer-Spiele.Info: Wie groß sehen Sie die Chancen für ein generelles Verbot von Gewalt darstellenden Computerspielen?

Mathias Mertens: Schlecht. Ernsthafte Juristen würden niemals ein Verbot durchgehen lassen, dessen Begründungsgrundlage so unscharf ist: "Gewalt darstellende Computerspiele". Was ist Gewalt? Was ist keine Gewalt?

Killer-Spiele.Info: In Österreich gibt es statt eines Index eine Positivliste, d.h. eine Liste von Spielen, die der Staat empfiehlt und fördert. Was halten Sie von einer solchen Lösung?

Mathias Mertens: Kann man machen. Wird auch hier gemacht. Aber ehrlich gesagt habe ich keine Lust auf die Spiele, die "der Staat" als empfehlenswert betrachtet und fördert, sondern auf solche, die aus sich heraus interessant und aufregend sind. Auf Kunst eben. Der Staat sollte lieber die Bedingungen fördern, dass sich irgendwie diese Kunst ergeben kann, anstatt alte Muster auszubauen und durch Förderung windelweich zu machen.

Killer-Spiele.Info: Untersuchungen zeigen, dass Internet und Spiele dem Fernsehen zunehmend den Rang als Freizeitbeschäftigung ablaufen. Manche vermuten hinter der Negativ-Berichterstattung vieler Medien die Absicht, durch ein "Killerspiele-Verbot" Konkurrenzmedien zurückzudrängen. Was halten sie von dieser These?

Mathias Mertens: Da glaube ich dran. Zwar nicht als bewusste Verschwörung, aber als eine unbewusste Tendenz, um dem eigenen Tun nicht die Legitimation zu entziehen. Und das ist auch richtig so. Wenn ich die ganze Zeit hier schreiben würde, dass Schreiben schädlich ist und dass man niemandem glauben sollte, der schreibt, dann hätten Sie ja auch das Gefühl, dass mit mir irgendetwas nicht stimmt. Überzeugen kann nur der, der von sich überzeugt sind. Und dass das Fernsehen überzeugt ist, dass Fernsehen gut ist, finde ich erst einmal sympathisch. Ich mag es nicht richtig finden, aber das ist ein anderer Punkt.

Killer-Spiele.Info: Sie beklagten sich jüngst im Opens external link in new windowExpertenchat der ARD darüber, dass viele Spieler die Diskussionen zum Thema verzerrt wahrnehmen. Negative Berichte würden zu viel Empörung hervorrufen, positive dagegen kaum Beachtung finden. Welche Medien gehen Ihrer Meinung nach objektiv mit dem Thema um?

Mathias Mertens: "Medien" gehen damit gar nicht um, Menschen benutzen verschiedene Medien, um das Thema zu behandeln. Und objektiv ist ein Gummikategorie, unter der ich mir auch kaum etwas vorstellen kann. Objektiv scheint mir das zu sein, was in seiner Subjektivität meiner Subjektivität so nahe ist, dass mir keine Differenz auffällt und ich deshalb glaube, hier sei eine natürliche Wahrheit am Wirken. Wofür ich also plädieren würde, wäre Subjektivität im Umgang mit dem Thema. Nur in der Auseinandersetzung damit entstehen neue Ansichten und Ideen.

Killer-Spiele.Info: Sie haben sich mit den verschiedenen Reaktionen seitens der Spieler beschäftigt: Unterschriftenaktionen, Protestseiten, Informationsseiten. Welche Wege halten Sie für erfolgversprechend, wenn es darum geht, das Image der Spiele und Spieler in Politik und Öffentlichkeit positiv zu beeinflussen?

Mathias Mertens: Indem gute Spiele entstehen, an denen man nicht vorbeikommt. Man kann mir tausendmal erklären, dass Ego-Shooter die Menschen nicht zu Killern machen und so weiter und so weiter, aber wenn mir einer und noch eine und noch einer und noch eine erklärt, dass das Spielen von Opens external link in new windowHalf-Life eine intensive und anregende Kulturerfahrung ist, so wie ich das bei "Sakrileg" oder bei "Das Wunder von Bern" oder bei "Mensch" oder bei "Kir Royal" erlebt habe (dass mir das nämlich viele erzählt haben), dann werde ich es vielleicht spielen. Und gut finden. Meines Wissens ist das bei Computerspielen erst ein einziges Mal in dieser klassischen kulturellen Weise passiert: bei Opens external link in new windowMyst.

Killer-Spiele.Info: Der Einzelhandel steht in der Kritik: Stichproben verschiedener Fernsehmagazine ergaben, dass sich Verkaufspersonal nur unzureichend an Alterseinstufungen hält. Was könnte und sollte sich dort ändern?

Mathias Mertens: Alles, was sich auch in Bezug auf Alkohol und Zigaretten ändern müsste.

Killer-Spiele.Info: Was würden Sie persönlich den Eltern raten, die sich selbst kaum mit PCs und dem Internet auskennen, wenn ihre Kinder Computerspiele spielen wollen? Wo findet man schon heute kompetente Beratung zu diesem Thema?

Mathias Mertens: In sich selbst. Indem man spielt, sich dadurch auskennt, sich selbst beraten lassen kann und dann auch die eigenen Kinder berät und begleitet.

Killer-Spiele.Info: Wir danken für das Interview.